Recruiting im Wandel: Das Kräfteverhältnis zwischen Fachkräften und Unternehmen
1. Entwicklung der Bewerbungssituation: gestern und heute
1.1 gestern
Wenn man sich an die Zweitausender erinnert, lief der Bewerbungsprozess noch deutlich anders als im Vergleich zu heute. Die Arbeitgeber waren stets Profiteure der vorherrschenden Situation auf dem Arbeitsmarkt. Ein personalisiertes Anschreiben, ein lückenloser Lebenslauf mit Arbeitszeugnissen aller relevanten Stationen waren das Mindestmaß, um als Bewerber*in zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen zu werden. Schon in der Schule lernte man, wie die perfekte Bewerbung auszusehen hatte. Wer auf seinem Lebenslauf kein Foto von sich zeigte, musste um seine Chancen fürchten, seitens der Recruiter im Unternehmen nicht in die engere Auswahl genommen zu werden. Zudem sollte das Gespräch mit den Verantwortlichen im HR am besten im Anzug geführt werden, als ob es direkt im Anschluss auf eine Hochzeit ginge.
1.2 heute
Heute haben sich die Dinge ein Stück weit geändert. Auch wenn ein professioneller Eindruck und ein kompetentes Auftreten nie aus der Mode kommen werden, sind Unternehmen heute deutlich liberaler aufgestellt. Ein erstes Kennenlernen mit HR kann auch im T-Shirt erfolgen und durchaus schnell und einfach von zuhause. Ein Bild im Lebenslauf ist nicht mehr ausschlaggebend, um das Interesse der Recruiter zu wecken. Das hat zum einen den Grund, dass sich die Gesellschaft über die Jahre im Hinblick auf die Diversität der Menschen liberalisiert hat. Ein anderer Grund ist der zunehmende Mangel an Fachkräfte in vielen Bereichen wie zum Beispiel der Digitalisierung. Viele von euch werden mit dem Begriff Fachkräftemangel bereits häuft konfrontiert worden sein. Die Intensität des Problems hängt aktuell noch von der jeweiligen Sichtweise ab. Dass es den Fachkräftemangel jedoch gibt, ist aber eine unbestrittene Tatsache.
Dieser und die stetig zunehmende Digitalisierung haben dafür gesorgt, dass sich das Kräfteverhältnis auf dem Arbeitsmarkt verändert hat. Wenn man sich genauer mit den Zahlen des Institutes für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung beschäftigt, sieht man deutlich, dass die Zahl der nicht besetzen Positionen seit 2020 exponentiell steigt.
2. Die digitale Revolution: Chancen für Fachkräfte
Ein großer Vorteil für Unternehmen in der Vergangenheit war, dass es für den Mitarbeitenden weniger Informationsmöglichkeiten gab und die Arbeit ausschließlich vor Ort ausgeführt werden musste. Es gab die klassischen Medien und die Mundpropaganda, die bei der Suche nach einem neuen Job helfen konnten. Jeder erinnert sich an das Bild einer Person am Frühstückstisch, die sich in der Zeitung die Seite mit den Stellenausschreibungen durchliest und umkreist, was relevant ist.
Durch soziale Netzwerke wie XING, LinkedIn, Indeed und andere stehen den potenziellen Fachkräften deutlich mehr Jobangebote sowie transparente Informationen und Vergleichsmöglichkeiten zur Verfügung. Spätestens mit Einführung der Homeoffice-Option konnten Mitarbeitende sich bei einem noch breiteren Spektrum an Unternehmen bewerben. Anstatt lokal abhängig zu sein, kann man jetzt von zuhause für ein Unternehmen am anderen Ende des Landes oder gar darüber hinaus aktiv werden. Anstatt sich zwischen wenigen Jobangeboten entscheiden zu müssen, stehen den Bewerber*innen nun diverse Möglichkeiten zur Auswahl. Über Plattformen wie kununu hat man zudem die Chance, sich ein transparentes Bild eines künftigen Arbeitgebers einzuholen. Damit stehen Arbeitgeber mit anderen Arbeitgebern in einem deutlich intensiveren Konkurrenzverhältnis.
Vor allem der Mittelstand wird zunehmend Schwierigkeiten haben, sich mit monetär stabil aufgestellten Konzernen zu profilieren und muss folglich mit deutlich weniger Bewerbungen von geeigneten Fachkräften rechnen.
3. Demografischer Wandel in Deutschland: Ursachen und Auswirkungen
Ein weiterer zentraler Faktor für die Veränderung des Kräfteverhältnisses ist der demografische Wandel. Doch wie kommt es zu diesem Zustande? Der demografische Wandel erklärt die Veränderung in der Altersstruktur der deutschen Bevölkerung. Im Jahr 1990 machten Personen im Rentenalter rund 15 % der Bevölkerung aus. Im Jahr 2020, also 20 Jahre später, sind es bereits 22 %. Wenn man diese Entwicklung für die nächsten Jahre prognostiziert, werden sich 2040 rund 30 % der Bevölkerung im Rentenalter befinden.
Grund hierfür sind deutlich verringerte Geburtenraten. Während in den Jahren von 1950 bis 1970 gemittelt 1.1729,692 Menschen geboren worden sind (Geburtenrate liegt approx. 26 % über der Sterberate), sind es in den Jahren 2000 bis 2022 lediglich 730.046 (Geburtenrate liegt approx. 20 % unter der Sterberate) (1). Da die fallende Geburtenrate schon ab 1970 deutlich erkennbar ist, schrumpft das Humankapital in Form von Fachkräften in Deutschland aktuell stetig. Der Prozess ist noch lange nicht am Ende, sondern beginnt grade erst Fahrt aufzunehmen. Im Jahr 2030 wird es rund 3,6 Millionen Erwerbstätige weniger geben. Im Jahr 2060 wird sich die Zahl auf 10,2 erhöhen. Somit wird es im Schnitt auf freie Stellen immer weniger Erwerbstätige geben. Das hat zur Folge, dass sich das Kräfteverhältnis immer weiterdrehen wird. Jedes Unternehmen braucht ausreichend Fachkräfte, um marktgerecht zu funktionieren. Wenn auf eine Fachkraft zwei Stellen fallen, kann sich diese infolgedessen entscheiden, bei welchem Unternehmen er oder sie unter welchen Bedingungen arbeiten möchte.
4. Veränderte Arbeitsmarktdynamik und deren Auswirkungen
Jeder von uns kennt die Implikation: Wenn die Nachfrage bei gleichem Angebot steigt, führt dies zu steigenden Preisen. Dieser Mechanismus lässt sich gedanklich auf den Arbeitsmarkt übertragen. Je weniger Fachkräfte, desto höher ist die Konkurrenz der Unternehmen um diese. Da für Fachkräfte das Risiko der Arbeitslosigkeit erheblich gesunken ist, befinden sich nun die Unternehmen im Zugzwang, die schwindende Masse an Humankapital für sich zu gewinnen.
5. Gemeinsame Sache machen: Mit Personalberatungen dem Fachkräftemangel vorbeugen
Die aktive Ansprache geeigneter Fachkräfte und Professionals durch eine spezialisierte Personalberatung bietet durchaus eine Lösung im War for Talents. Mittels Direktansprache sind Unternehmen in der Lage, deutlich mehr Fachkräfte aus dem Arbeitsmarkt abzurufen als lediglich durch Stellenausschreibungen. Da in Personalabteilungen tendenziell weniger Kapazitäten für active sourcing vorhanden sind, löste dies in den letzten Jahren eine vermehrte Zunahme an Personalberatungen aus.
Fast jede Person, die bei Linkedin aktiv ist, wurde bereits von einer Personalberatung kontaktiert. Und nicht wenige haben über diesen Weg einen neuen Arbeitgeber gefunden. Eine gute Sache, es führt jedoch dazu, dass sich die Kräfteverhältnisse auf dem Arbeitsmarkt noch weiter dramatisieren. Wer mehrmals in der Woche von einer Personalberatung kontaktiert wird, wird es künftig nicht mehr für nötig halten, die Zeit in eine eigene Bewerbung zu investieren.
6. Professionelle Ansprache holt Bewerber*innen gezielt ab
Hinzu kommt, dass der Bewerbungsprozess über das Unternehmensportal deutlich langlebiger und qualitativ schlechter ist. Durch die Zusammenarbeit mit einer Personalberatung hat man feste Ansprechpartner*innen an der Seite, die dafür Sorge tragen, dass man im Prozess angemessen abgeholt wird. Die logische Ableitung, noch weniger Bewerbungen werden über die eigenen Kanäle reinkommen. Folglich entsteht ein sich selbstverstärkender Prozess. Dieser zwingt langfristig auch andere Unternehmen zu einer Zusammenarbeit mit externen Partnern wie Personalberatungen. Denn die Unternehmen, die bereits auf Personalberatungen zurückgreifen, haben einen klaren Wettbewerbsvorteil im Hinblick auf das Recruiting von neuen Fachkräften. Daraus entwickelt sich ein Art Effekt für viele Unternehmen: „Mitgehangen, mitgefangen!“. Denn die umworbenen Fachkräfte gewöhnen sich an den für sie optimierten und bequemen Prozess, in dem sie durch Personalberatungen begleitet werden.
7. Fazit: Die Zukunft aktiv gestalten vs. reaktiv den Anschluss verlieren
Schlussendlich kann man Unternehmen trotz höher anfallender Kosten für die Suche nach Fachkräften nur empfehlen, sich auf die Zusammenarbeit mit Personalberatungen einzustellen. Unternehmen, die es nicht tun und auch intern keine Sparte für das active sourcing aufbauen, werden den Anschluss zu Wettbewerbern verlieren, die bereits erfolgreich und länger mit Personalberatungen zusammenarbeiten.
Die Veränderung der Kräfteverhältnisse auf dem Arbeitsmarkt ist bereits so weit fortgeschritten, dass es kein Zurück mehr geben wird, ohne extreme Stagnation der Wirtschaft. Dem Bereich Human Resources diese weitere Kompetenz aufzuzwingen, würde dazu führen, dass die qualitative Betreuung der aktuellen Angestellten deutlich reduziert werden müsste. Das führt am Ende wiederum dazu, dass man die daraus resultierenden starken Personalverluste nur erfolgreiche über eine Personalberatung kompensieren kann.
Quellen:
(1) Statistisches Bundesamt. Anzahl der Geburten und der Sterbefälle in Deutschland von 1950 bis 2022. 05.23